Probleme mit erwachsenen Kindern

Probleme mit erwachsenen Kindern

„Ich glaube meine Tochter hasst mich“ mit diesen Worten beginnt die zweite Sitzung mit Hildegard*, einer wirklich verzweifelten mittlerweile fast 70jährigen Frau.

„Wir können nicht miteinander reden, ohne dass sie aufbrausend und vorwurfsvoll wird. Mein Herz macht das nicht mehr mit. Ich weiß nicht, was ich überhaupt noch sagen darf. Sie ist so schrecklich wütend,“ führt sie weiter aus.

Angst und Drohungen – Probleme mit erwachsenen Kindern

Immer häufiger nehmen verzweifelte Eltern von mittlerweile erwachsenen Kindern Kontakt zu mir auf. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. In der Kindheit war scheinbar alles okay. Es gab keine großen Konflikte. Die Kinder waren sogar meist unauffällig. 

Bei solchen Aussagen ahne ich schon, dass die Kinder damals keinen Raum hatten, sich wirklich zu entfalten. Sie funktionierten, weil sie gespürt haben, dass ihre Eltern keine Kapazitäten für noch mehr Stress hatten. Vielleicht war ein Geschwister schon „schwierig“ genug oder die Probleme der Eltern ließen die Kinder schweigen und leiden. 

Die Eltern, die zu mir kommen, weil es scheinbar plötzlich Konflikte mit ihren erwachsenen Kindern gibt, haben Angst davor, dass die Kinder den Kontakt vielleicht völlig abbrechen oder noch schlimmer, sich etwas antun könnten. Denn gar nicht selten, drohen die Kinder ihnen mit Suizid. Ein Schreckensszenario, das kaum zu überbieten ist.

Du hast recht mein Kind – Probleme mit erwachsenen Kindern

„Ihre Tochter hat recht“ sage ich zu Hildegard. Sie guckt mich fragend an.

„Damit meine ich nicht, dass sie Sie wirklich hasst. Es geht nur darum, dass Ihre Tochter unbedingt das Gefühl braucht, wirklich gehört zu werden. Mit der Aussage, du hast recht geben sie ihr den Raum, den sie als Kind nicht haben konnte. Und dann können sie damit beginnen, ihr wirklich zuzuhören, statt in der immer gleichen Diskussionsschleife hängen zu bleiben.“

Eltern, die sich in diesem Prozess Hilfe holen sind mutig, denn es bedeutet sehr häufig, dass es anstrengend wird. Sie fühlen sich in Ihrer Rolle als „gute“ Eltern bedroht. Das ist ein schreckliches Gefühl, denn sie wollten es gut machen, gerade weil die Umstände häufig sehr schwierig waren. Meist haben sie selbst ganz ähnliche Erfahrungen mit ihren Eltern gemacht, aber diesen Schmerz verdrängt.

Deshalb versuchen sie jetzt mit Einwänden und Argumenten, die Gefühle der erwachsenen Kinder – und damit ihre eigenen – wieder unter Kontrolle zu bringen. So wie damals, als diese klein waren und sich nicht wehren konnten. Damit machen sie es allerdings nur schlimmer.

Sobald die Eltern aufhören, ihren Kindern die eigene Wahrheit auszureden und stattdessen zu ihnen sagen: „Du hast recht mein Kind, es muss furchtbar gewesen sein,“ kann sich die Situation entspannen. Veränderung wird möglich.

Endlich gehört werden – Probleme mit erwachsenen Kindern

„Immer waren sie zwei gegen Eins“, sagt Carola* unter Tränen.

Sie ist eine von den erwachsenen Kindern, die Probleme mit ihren Eltern hat. Sie würde den Kontakt am liebsten ganz abbrechen, weil es ständig Streit gibt. Alles was sie macht wird von ihren Eltern kritisch und voller Sorge beobachtet.

Manchmal reicht schon ein Blick oder nur der Geruch des Elternhauses und sie fühlt sich schlecht. Noch möchte sie an der Beziehung zu den Eltern festhalten. Sie weiß, wie sehr diese unter einem Kontaktabbruch leiden würden. Allerdings findet sie einfach keinen entspannten Umgang mit ihnen. Carola* fühlt sich ständig ausgegrenzt und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass diese einmal zu ihr sagen:

„Wir wollen wirklich wissen, was dich bewegt.“

Kontaktabbruch

Niemand bricht einfach so den Kontakt zu den eigenen Eltern ab. Auch wenn es für die Eltern manchmal so scheint, als käme der Abbruch aus heiterem Himmel. Die erwachsenen Kinder sind wirklich in Not und haben häufig schon länger Probleme im Leben.

Sie finden zum Beispiel keinen Partner oder geraten immer wieder an den oder die Falsche(n). Oder sie können beruflich nur schwer Fuß fassen, probieren viel aus, aber fühlen sich nirgendwo richtig wohl.

Hierarchien und Autoritäten „triggern“ den Konflikt mit den Eltern. Das bedeutet, dass das Gefühl, schon als Kind falsch gewesen zu sein, sie nicht loslässt und die Situation mit dem Chef oder der Chefin erinnert sie wieder daran. Sie denken dann auch im Beruf, nicht gut genug zu sein. Sie sind angespannt und voller Angst, dass sie etwas falsch machen könnten. Manchmal führt das sogar bis zum Burnout oder zu Depressionen.

Verantwortungen klären – Probleme mit erwachsenen Kindern

Für die Eltern ist so ein Kontaktabbruch eine der schlimmsten Situationen im Leben. Sie haben keine Möglichkeit mehr, ihre Kinder zu erreichen. Die meisten akzeptieren die Entscheidung ihrer Kinder und leiden dennoch schrecklich darunter. Auch ihnen tut eine Beratung gut. Manch verzweifelte Mutter oder Vater kann am Ende sogar Verständnis für das eigene Kind aufbringen. 

Gelingt es jedoch rechtzeitig, dass beide Parteien in die Beratung kommen, geht es vor allem darum, dass sie lernen einander wirklich zuzuhören. Sie lernen, die Verantwortung für die Probleme übernehmen.

„Es war für mich schrecklich, dass ihr immer zusammen gehalten habt!“ sagt Carola zu ihrer Mutter.

Als ihre Mutter damit beginnen will, sich zu rechtfertigen und zu erklären, dass es doch falsch ist, vor den Kindern zu streiten und sie nur deshalb dem Vater zugestimmt hat, unterbreche ich sie.

„Können Sie sich vorstellen, dass es für Ihre Tochter schwer war?“ frage ich.

„Ja“ antwortet die Mutter leise. Sie schweigen und dann rollen beiden Frauen Tränen über das Gesicht. Es geht darum, den eigenen Schmerz auszuhalten und zuzuhören, was die Kinder in der Kindheit erlebt haben. Die Eltern sind Zeugen, die ihnen erzählen können, was passiert ist, zum Beispiel bei der Geburt, in der Krippe, im Krankenhaus aber auch später zu Hause. Damit die Kinder wissen, warum sie sich so allein und falsch gefühlt haben und teilweise immer noch fühlen.

Und natürlich geht es auch darum, dass die Kinder eine Chance haben, ebenfalls Verantwortung zu übernehmen. Denn auch 

Probleme mit erwachsenen Kindern

sie haben eine Verantwortung. Sie haben die Verantwortung für die Lösung ihrer Probleme. Auch wenn es für manche hart klingt, eine andere Möglichkeit gibt nicht. Niemand anderes kann das für sie tun. Die Kindheit ist vorbei und lässt sich nicht mehr ändern. Sie können den Kampf gegen die Eltern aufgeben und sich auf die Suche nach einer Lösung machen. Das können sie nur selbst… wie schon beim Laufen lernen kann das niemand für den anderen übernehmen, inklusive Hinfallen und manchmal auch Beulen.

Lösungen  

„Meine Mutter hat mich im Krieg geboren“ sagt Hildegard*, „wir hatten immer eine schwierige Beziehung. Und wenn ich ehrlich bin, hätte ich ebenfalls gerne den Kontakt zu ihr abgebrochen. Aber ich war nicht so mutig wie meine Tochter.“ Hildegard weint und sie spürt den Schmerz wieder, den sie viele Jahre verdrängt hatte. Jetzt wird ihr klar, dass ihre Tochter etwas ganz ähnliches erlebt hat.

Später erlebt sie sich im Kontakt mit ihrer Tochter so entspannt wie nie. Das spürt ihre Tochter und die folgenden Begegnungen der beiden Frauen werden leichter.

Auch Carola erlebt Erleichterung in der Beratung.

„Es wird leichter. Ich spüre es in der Brust, ich kann irgendwie tiefer einatmen,“ sagt sie, nachdem sie in einer Systemaufstellung den Schritt von den Eltern in Richtung eigenes Leben gewagt hat. Diese Leichtigkeit kommt durch den Verzicht darauf, dass etwas anders gewesen sein soll oder ihr noch etwas fehlen könnte, das nur die Eltern ihr geben können. Auch für sie werden die Begegnungen nach der Beratung mit ihren Eltern leichter. 

Es reicht, wenn eine von beiden Parteien in die Beratung kommt. Das ist das schöne an der Arbeit mit dem Familiensystem, jeder und jede kann sich auf den Weg zu einer Lösung machen. Egal wie sehr das Gefühl vorherrscht, das Problem liegt an den anderen. Die Lösung liegt immer in einem selbst. 

 

*selbstverständlich sind alle Namen geändert und ich hole mir jeweils vorher das Einverständnis meiner Klienten, ob ich deren Geschichte erzählen darf.


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