„Als unsere Tochter das erste Mal mit ihrem Freund zu Hause übernachtet hat, habe ich eindeutige Geräusche aus ihrem Zimmer gehört. Mich hat das total verstört und aufgeregt. Weinend bin ich zu Tobias gegangen und habe gesagt. Ich will eine Therapie. Deshalb sitzen wir jetzt hier.“ sagt Petra*.
„Wir haben schon lange gar keinen Sex mehr,“ fügt ihr Mann Tobias* hinzu.
Es war ein schleichender Prozess berichten sie weiter. Die lustvollen Geräusche aus dem Zimmer der Tochter haben Petra daran erinnert, wie wichtig ihr der gemeinsame Sex ist.
„Es sind auch die Wechseljahre, die mich gerade umtreiben. Ich leide unter der Veränderung meines Körpers und bin häufig traurig ohne Grund,“ fügt Petra noch hinzu.
Ursachen für sexuelle Lustlosigkeit
Die Ursachen, warum sich sexuelle Lustlosigkeit in einer Partnerschaft ausbreitet sind vielfältig. Sie reichen von körperlichen Gründen, wie z.B. Krankheiten, Schmerzen, hormonelle Veränderungen über Suchterkrankungen und psychiatrische Probleme bis zu psychosozialen Ursachen und Beziehungsfaktoren.
Auch die Art und Weise der gemeinsamen Sexualität spielt eine große Rolle. Lustlosigkeit ist selten total. Sie ist oft bezogen auf etwas oder jemanden. Dann fehlt die Lust auf die Art von Sex, die das Paar sich über Jahre gemeinsam kreiert hat. Die kanadische Sexualforscherin Peggy Kleinplatz hat den Begriff „Sex worth wanting“ geprägt. Von diesem Sex, der es Wert ist gewollt zu werden, gibt es in vielen Langzeitbeziehungen irgendwann nur noch wenig.
Was auch immer die Ursache ist, das Problem bei sexueller Lustlosigkeit ist in allen Fällen, dass die Lust nicht einfach wieder zurück kommt. Wenn beide damit zufrieden sind, ist es völlig okay, aber wenn einer von beiden darunter leidet, ist es Zeit, sich mit dem Thema Sexualität zu beschäftigen.
Eifersüchtig auf den Womanizer
Bei Petra und Tobias stellt sich allerdings sehr schnell heraus, dass es hier gar nicht um sexuelle Lustlosigkeit geht. Beide haben sogar ziemlich viel Sex. Sie haben nur keinen Sex mehr miteinander. Das ist ein großer Unterschied, denn in dem Fall können alle körperlichen Ursachen für Lustlosigkeit ausgeschlossen werden. Auch die Wechseljahre spielen hier nur eine untergeordnete Rolle.
Sowohl Petra als auch Tobias erleben befriedigende Sexualität mit sich selbst. Er hat seine lustvollen Erlebnisse beim Pornos gucken und masturbieren und sie mit dem Womanizer, einem Sexspielzeug für Frauen, das ihr schnell und unkomplizierte Orgasmen verschafft. Sie kann mit Hilfe des Womanizers in wenigen Sekunden zum Orgasmus kommen. Ganz so, wie es die Werbung verspricht.
„Heute ist Tobias eifersüchtig auf den Womanizer. Dabei hat er ihn mir damals zum Valentinstag geschenkt. Am Anfang haben wir ihn gemeinsam genutzt. Ich war wirklich überwältigt“ erzählt Petra. Ihre Wangen werden ganz rot und sie nestelt nervös an ihrer Jacke.
„Na ja eifersüchtig vielleicht nicht“ sagt Tobias, „aber ich habe das Gefühl, gar nicht gesehen zu werden. Es ist alles ziemlich mechanisch geworden durch das Ding. Außerdem macht es Geräusche, die mich stören“
„Deshalb nutze ich ihn meistens eher heimlich“ sagt Petra.
Jetzt sind wir beim eigentlichen Problem angekommen. Die Heimlichkeit, mit der beide ihre Sexualität ausleben ist das größte Problem. Mittlerweile ist der andere komplett aus der eigenen Sexualität gestrichen.
Lustlosigkeit und Orgasmusverzögerung durch Selbstbefriedigung
Im weiteren Verlauf der Beratung erzählen beide davon, dass sie den gemeinsamen Sex nicht mehr als reizvoll erleben. Es dauere immer ziemlich lange bis sie zu einem Orgasmus kämen. Sie würden dann lieber darauf verzichten und durch die bereits genannten Wege für Befriedigung sorgen.
Das ist gar nicht so selten. Durch die Masturbation ist der Körper auf ganz andere Reize konditioniert. Sowohl die stark reizenden Bilder aus den Pornos als auch die körperliche Stimulation durch die eigene Hand oder den Vibrator (Womanizer) führen dazu, dass Penis und Vagina plötzlich nicht mehr ausreichen, um einen Orgasmus herbei zu führen. Die Orgasmusverzögerung ist dabei die gesunde und völlig normale Reaktion des Körpers.
Die sogenannten Superreize, denen wir durch die Digitalisierung immer heftiger ausgesetzt sind, können sogar den Hirnstoffwechsel beeinflussen. Das ist vergleichbar mit viel Zucker, der unseren Stoffwechsel beeinflusst. Beim Zucker haben wir im schlimmsten Fall irgendwann Diabetes. Und bei den sexuellen Reizen stumpfen wir immer mehr ab und reagieren unsensibel oder gar nicht mehr auf partnerschaftlichen Sex.
Wir brauchen dann wie beim Zucker immer mehr für eine immer kürzer andauernde Befriedigung.
Gemeinsame Sexualität
„Ich will so nicht mehr weiter machen“ sagt Petra. „Ich vermisse Tobias und möchte wieder eine gemeinsame Sexualität. Aber irgendwie weiß ich nicht, wie das gehen soll.“
„Es ist fast so, als wäre die gemeinsame Sexualität überflüssig geworden. Ohne Petra’s plötzlichen Ausbruch wäre mir gar nicht so sehr aufgefallen, dass etwas fehlt“ sagt Tobias.
Auch das ist ein neuerdings häufig in Sexualberatungen auftretendes Phänomen. Dass vor allem die Männer immer mehr zur Lustlosigkeit neigen. Nicht zur generellen Lustlosigkeit sondern, wie erwähnt, zur partnerschaftlichen Lustlosigkeit. Das Leben ist ein einziger Stress und es geht sehr oft darum effektiv zu sein. Die ständige Verfügbarkeit von Pornografie verleitet dann zum schnellen und entsprechend effektiven Orgasmus.
Beziehungssex ist im Gegensatz dazu viel zu kompliziert geworden.
Die dreifache Sexualität
Häufig baue ich visualisierende Elemente in die Therapie mit ein. Im Fall von Petra und Tobias wende ich das Modell der drei verschiedenen Sexualitäten an. Ich lasse Petra und Tobias jeweils eine Figur für die eigene Sexualität auswählen und dann eine für die gemeinsame Sexualität.
Sie stellen beide die Figur für die eigene Sexualität sehr nah an sich selbst heran. Die gemeinsame Sexualität landet in der hintersten Ecke. Das passt alles sehr gut zu der Situation, die sie beschrieben haben. Ich hole die Figur aus der Ecke heraus und stelle sie zwischen das Paar.
Der gemeinsame Garten
Als inneres Bild wähle ich den Garten.
„Was ist mit dem Garten eurer gemeinsamen Sexualität passiert?“ frage ich.
Die gemeinsame Sexualität als einen gemeinsamen Garten zu verstehen, um den sich beide kümmern können, ist extrem effektiv. Ich habe dieses Bild von Berit Brockhausen während meiner Weiterbildung zur Paartherapeutin gelernt. Paare finden das Bild fast immer gut nachvollziehbar und hilfreich. So ist es auch bei Petra und Tobias.
„Er ist ziemlich vertrocknet und alles, was da mal geblüht hat, ist dabei kaputt zu gehen“ sagt Tobias.
„Mich macht der Garten traurig“ sagt Petra. „aber ich habe auch Lust, mich darum zu kümmern.“
Das ist natürlich eine wunderbare Reaktion. Jetzt können beide sich überlegen, was sie mit der gemeinsamen Sexualität machen wollen.
- Welche Aspekte aus der eigenen Sexualität möchten sie in den gemeinsamen Garten einbringen?
- Was wollen sie weiterhin nur für sich alleine genießen?
- Wer beginnt womit?
- Wie stellen sie sicher, dass auch die eigene Sexualität weiterhin Raum hat?
Hilfe bei Lustlosigkeit auf Paarsex
Petra und Tobias beginnen mit ersten „Gartenarbeiten“, in dem sie sich wieder Zeit füreinander nehmen.
Sie einigen sich auf zwei Stunden in der Woche, die sie wirklich für die gemeinsame Sexualität verwenden werden. Wobei es zunächst keinesfalls darum geht, Sex zu haben. Vielmehr nehmen sie sich Zeit miteinander zu sprechen und wirklich bewusst den anderen und sich selbst zu spüren.
„Erwartet nicht sofort, dass es einfach ist. Eure Körper sind an die Superreize gewöhnt,“ gebe ich ihnen noch mit auf den Weg, denn wie so oft bei Veränderungen ist Geduld gefragt.
Dennoch berichten sie in der letzten Sitzung, dass sich ihr Umgang miteinander grundsätzlich verbessert hat. Sie sind offener miteinander und nutzen die zwei Stunden im „gemeinsamen Garten“ um miteinander darüber zu reden, was sie sich voneinander wünschen. Aber auch über das, was sie sich ganz und gar nicht vorstellen können.
Ganz wie bei der echten Gartenarbeit geht es auch hier darum, das Unkraut zu entfernen und alles andere gut zu versorgen. Dann kann wieder etwas blühen.
* Natürlich sind die Namen geändert und ich habe mir von den Paaren die Zustimmung geholt, dass ich ihre Geschichte hier erzählen darf
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