Regiert die Angst eure Beziehung?
Natürlich würde niemand sagen, dass er oder sie Angst vor Beziehung hat. Und dennoch ist es gar nicht so selten, dass wir in unseren Beziehungen zu Partnern und Familienmitgliedern angstgesteuert reagieren. Wir machen uns das nur nicht bewusst.
Stattdessen nehmen wir uns zurück aus Angst, den anderen zu verletzen oder selbst verletzt zu werden. Wir verheimlichen unsere Wünsche vor den anderen und manchmal sogar vor uns selbst aus Angst verurteilt zu werden. Und so wird es immer enger in der Beziehung und mit jeder weiteren Zurückhaltung verlässt ein bisschen mehr Freude und Lust unseren Beziehungsalltag.
Gerade in der Sexualität neigen wir dazu, uns aus Angst vor Zurückweisung auf den kleinsten gemeinsamen sexuellen Nenner zu einigen, und der ist leider meistens langweilig.
Wir glauben dann zwar in Sicherheit zu sein und die Angst im Griff zu haben, dabei ist es genau anders herum, die Angst hat uns im Griff.
Der Preis für diese scheinbare Sicherheit ist sehr hoch, denn wir verlieren nicht nur unsere sexuelle Lust sondern auch einen großen Teil unserer Lebendigkeit und Lebensfreude, wenn wir es immer mehr vermeiden uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind.
Ein Weg aus dieser Enge heraus zu kommen, ist die Differenzierung und die 4 Punkte der Balance von David Schnarch. In seinen Büchern „Intimität und Verlangen“ und „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“ beschreibt er diesen Prozess sehr tiefsinnig und durch Beispiele aus der Praxis nachvollziehbar.
Um diese vier Punkte der Balance gegen die Angst vor Beziehung und sexuelle Unlust geht es:
1. Stabiles und flexibles Selbst
Zuerst ist es wichtig, über sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, Werte und Ziele Klarheit zu erlangen. Das fällt ganz besonders den sensiblen Menschen unter uns nicht so leicht. Sie sind oft ausgerichtet auf die anderen, wollen gefallen und wünschen sich Harmonie. Das ist eine wundervolle Eigenschaft – für die anderen!
Wir verlieren dabei jedoch uns selbst aus den Augen und wissen wenig über unsere eigenen Grenzen. Erst wenn wir uns selbst wichtiger nehmen als die anderen, können wir wirklich für anderen da sein – ohne uns zu verbiegen.
Mir fällt zu dem stabilen und flexiblen Selbst immer der Bambus ein. Er ist so stark, dass daraus in Asien Gerüste für den Hochhausbau angefertigt werden und er ist so flexibel sich zu biegen, wenn ein starker Wind weht oder ein Tier sich an ihm vorbei drängt.
Was bedeutet das für uns Menschen in einer Beziehung? Es geht darum, den eigenen Wert zu kennen und ihn auch nach außen zu vertreten. Sich also nicht ständig an den Partner anzupassen oder Verzicht auf wichtige Bedürfnisse aus Rücksicht zu üben. Aber auch nicht vollkommen starr und unbeugsam zu sein, wir könnten daran zerbrechen.
2. Stiller Geist – ruhiges Herz
Damit ist die maximale Selbstständigkeit und Eigenverantwortung für die eigenen Gefühle gemeint.
Es geht um die Kunst, sich selbst zu beruhigen und nicht vom anderen zu erwarten, dass er oder sie das tut.
Wer es schafft, trotz wildester Gefühle sich wieder zu beruhigen und diese Gefühle nicht beim anderen abzugeben, ist einen riesigen Schritt raus aus der Angstzone der Beziehung gegangen.
Es geht darum sich z.B. von Gedanken wie „er oder sie muss den ersten Schritt machen – ich warte solange in der Schmollecke“ oder „ich kann nicht schlafen, wenn er oder sie nicht zu Hause ist und vielleicht mit anderen Menschen Spaß hat“ zu befreien und stattdessen Gedanken zu finden, die mehr Lebendigkeit zulassen – sowohl für uns als auch für den anderen. Das erfordert zunächst die bewusste Entscheidung, den inneren Fokus auf positivere Gedanken zu richten.
3. Maßvolles Reagieren
Streit gehört zu engen Beziehung dazu, zumindest wundert sich niemand mehr, wenn Paare sich streiten. Unbeteiligte (und Paartherapeuten) erleben nicht selten, dass ein einfacher Satz zwischen Paaren plötzlich dramatische Reaktionen auslöst.
Wie aber kann maßvolles Reagieren aussehen, wenn einen der andere doch dermaßen auf die Palme bringt?
Um auch bei emotionaler Beteiligung maßvoll zu reagieren, gilt es die vier apokalyptischen Reiter, wie der Paartherapeut John Gottman sie nennt, in ihre Schranken zu weisen. Diese vier Reiter sind natürlich nicht auf dem Pferd unterwegs, sondern sie sind apokalyptische Verhaltensweisen in uns, die mit jedem Einsatz mehr Zerstörung in die Beziehung bringen.
- Kritik und ständiges Nörgeln über den anderen
- Abwehr und Rechtfertigung
- Verachtung und Niedermachen des anderen
- Schweigen und beleidigter Rückzug
Alle diese Verhaltensweisen sind im Grunde genommen maßlos daneben. Nicht selten gehören sie allerdings schon so sehr zum Standardprogramm in einer Beziehung, dass es kaum möglich erscheint, sie in ihre Schranken zu verweisen. Möglich ist es trotzdem, es braucht nur Mut und die Entscheidung beim nächsten Mal etwas anderes zu tun.
Und wie ein Klavierspieler erstmal mit „Alle meine Entchen“ beginnt, reichen auch hier kleine erste Schritte.
4. Sinnvolle Beharrlichkeit
Die eigene Beziehung zu verbessern ist nicht einfach. Es braucht Zeit und vor allem sinnvolle Beharrlichkeit. Tobias Ruland findet in seinem Buch „Die Psychologie der Intimität“ das bisher deutlichste und zugegeben etwas ungewöhnliche Bild für diesen Umstand, das ich gefunden habe. Er beschreibt es so:
Am Anfang sind wir verliebt und es ist kuschelig und warm, so als hätten wir ins Bett gemacht. Nach einiger Zeit jedoch wird es ungemütlich, in diesem Bett weiter aus zu harren. Es beginnt kühl zu werden, wir spüren die Nässe und es fängt an unangenehm zu riechen. Damit es uns nun wieder besser geht, müssten wir so einiges verändern.
Wir müssten aufstehen, die Bettwäsche wechseln und unter Umständen sogar die Matratze entsorgen. Alles sehr umständlich aber der einzige Weg, sich wieder wohl zu fühlen.
Wir scheuen diese Umstände allerdings, denn irgendwie scheint es immer noch bequemer, liegen zu bleiben.
Aber eigentlich haben wir keine Wahl. Wir brauchen jetzt sinnvolle Beharrlichkeit. Einer von beiden muss aufstehen und etwas unternehmen. Natürlich muss der andere früher oder später auch aufstehen, sonst wird es schnell zu einer sinnlosen Beharrlichkeit, vor allem dann, wenn der liegen gebliebene sich entscheidet, es doch nochmal mit der einfacheren Variante zu probieren oder einfach das Bett wechselt.
Dann ist es für den aufgestandenen an der Zeit eine sinnvollere Beschäftigung zu finden.
Angst vor Beziehung
Warum sind diese vier Punkte nun aber so hilfreich gegen die Angst vor Beziehung?
Wir brauchen den anderen nicht mehr zu fürchten, weil wir gelernt haben uns stabil, flexibel, ruhig, maßvoll und beharrlich für unsere Werte und Ziele im Leben und in der Beziehung einzusetzen.
David Schnarch geht sogar soweit und behauptet, wir haben eigentlich nur vier Möglichkeiten, eine Beziehung zu leben.
- den anderen zu dominieren
- uns dem anderen zu unterwerfen
- uns vom anderen physisch und/oder emotional zurückzuziehen
- die vier Punkte der Balance in uns zu entwickeln
Erkennt ihr die Angstreaktionen in den ersten drei Punkten? Angriff, Flucht oder Erstarrung!
Die Entwicklung der vier Punkte der Balance führt raus aus der Angst und schenkt uns neue Möglichkeiten der Verbindung zu uns selbst und zum Partner. Er nennt das Ergebnis Differenzierung, die übrigens auch wieder sehr viel mehr Lust aufeinander mit sich bringt.
Allerdings ist es wichtig, nicht zu streng mit sich selbst zu sein. Es lohnt sich, sich Zeit zu lassen und immer wieder dran zu bleiben, sinnvoll und beharrlich.
Solltet ihr jedoch nicht genau wissen, ob eure Beharrlichkeit noch Sinn macht, bin ich gerne für euch da und wir finden es gemeinsam heraus. Hier könnt ihr einen Termin für ein kostenloses Vorgespräch vereinbaren.