In langjährigen Beziehungen entstehen immer gegenseitige Verletzungen. Das gehört ganz selbstverständlich dazu und es wäre Irrsinn das vermeiden zu wollen. Unterschiedlich und spannend wird es erst im Umgang mit diesen Verletzungen. Wie gehen wir mit dem Wunsch nach Rache und Vergeltung um?
Manche Menschen sammeln die Verletzungen, die ihnen der andere zugefügt hat, über Jahre wie auf einem Konto. Wenn dann der Kontostand so weit ins minus gerutscht ist, dass sogar der „Dispo“ weit überzogen ist, kommt es – wie beim Konto auch – zur Kündigung, also Trennung. Das perfide daran ist jedoch, dass der Partner meist gar nichts von diesem Konto weiß. Somit hatte er in den letzten Jahren auch keine Gelegenheit zum Ausgleich und oft ist das auch gar nicht gewünscht. Die Trennung ereilt ihn (und manchmal auch sie) aus völlig heiterem Himmel.
Plötzlich sind alle Schulden auf einmal auf dem Tisch. Es folgen Vorwürfe wie „Damals als ich schwanger war, hast du mich im Stich gelassen“ oder „dass du mich vor 15 Jahre betrogen hast, wiegt immer noch sehr schwer“. Das sind natürlich tatsächlich schwerwiegende Vorwürfe und der andere hat sich hier vielleicht wirklich schuldig gemacht. Klar ist auch, dass diese Dinge nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Aber was hilft nun hier?
Zu gut um „böse“ zu sein
Oft sind es die Frauen, aber wir können hier Frau und Mann auch beliebig austauschen. Bleiben wir aber mal bei dem gängigeren Fall. Wenn Frauen verletzt werden, sind sie manchmal einfach nicht in der Lage zurück zu schlagen. Ich meine das nicht physisch sondern in Form von „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Sie halten es eher mit dem biblischen Wort „Wenn dir einer auf die linke Wange schlägt, halte ihm auch die rechte hin“ So werden Opfer gemacht. Sie geben all ihre Wut und Rachegelüste auf und vergraben sie tief in ihrem Inneren. Vergessen werden sie die Taten allerdings NIE.
Dahinter steckt oft ein Gelübde aus der Kindheit. Sie haben sich damals selbst gegenüber geschworen, NIE so zu werden wie mein Vater oder meine Mutter oder wer auch immer damals in ihren Augen „böse“ war. Was aber passiert, wenn sie nicht Mutter Theresa sind, sondern krampfhaft gut bleiben wollen? Der andere wird sauer! Er wird sogar immer wütender und agiert nun die unterdrückte Wut seiner Partnerin an ihr aus. Er tut das hauptsächlich, damit sie diese endlich sehen kann.
Diesen Satz jetzt bitte nicht falsch verstehen. Es bedeutet nicht, dass sie Schuld ist an dem was er getan hat! Es geht nämlich gar nicht um die Schuldfrage. Wenn er ein Verbrechen begangen hat, muss er natürlich strafrechtlich verfolgt werden. Selbstverständlich ist er für sein Handeln verantwortlich, egal wie die Ursache ist. Aber hier geht es um die Verletzungen, die wir uns gegenseitig zufügen, weil wir als Paar zusammen leben. Und es geht um die Suche nach einer Lösung.
Der Ausgleich
Wenn jemand wirklich einen Fehler gemacht hat, den er bereut, dann möchte er einen Ausgleich schaffen. Das ist ein vollkommen natürliches Bedürfnis, denn das Wissen um eine Schuld, die wir begangen haben, quält uns sehr. Für diesen Ausgleich braucht es allerdings Beide. Es muss eine Bereitschaft vorhanden sein, den eigenen Schmerz zu zeigen und auch eine Bereitschaft dazu, diesen Schmerz zu sehen. Dann gilt es einen Ausgleich zu fordern und diesen dann auch anzunehmen. Wenn das gelingt, ist es möglich, die Beziehung auf ein neues, sehr interessantes Niveau zu holen, nämlich auf Augenhöhe. Plötzlich begegnen sich die beiden wieder als gleichberechtigte Partner.
Wie kann so ein Ausgleich konkret aussehen? Nehmen wir das Beispiel von vorhin. Die Frau ist immer noch sauer, weil er sie vor 15 Jahren betrogen hat. Damals hat sie zwar irgendwann aufgehört, mit ihm darüber zu reden und er hat sie auch nie wieder betrogen, aber sie ist immer noch wütend darüber. Er fragt sich natürlich, wann ist denn endlich Schluss mit den Vorwürfen? Es tut mir leid und es war ein Fehler, aber irgendwann muss es doch mal gut sein?
Gut sein kann es nur, wenn sie jetzt bereit ist, von ihm etwas verlangen, dass ihm ähnlich schwer fällt. Es geht nicht darum, etwas heimzuzahlen und ihn jetzt auch zu betrügen, sondern es geht darum, dass endlich Ruhe in dieses Thema gebracht wird. Der Ausgleich könnte also z.B. sein, dass er die nächsten 3 Monate das Essen kocht, ohne darüber zu schimpfen, weil sie weiß, dass er kochen hasst. Oder er muss mir ihr zu einem Selbsterfahrungswochenende gehen 😉
Hier ist jedes Paar ganz individuell gefordert, nach Lösungen zu suchen, aber so können auch schwerste Verletzungen geheilt werden, auch wenn an der Stelle für immer eine „Narbe“ zurück bleibt. Aber so wie der Körper nicht ohne Verletzungen durchs Leben kommt, kommen auch Beziehungen nicht ohne sie aus und genau wie beim Körper, gilt auch für Beziehungen „Narben machen interessant“.
Wie sind euere Erfahrungen mit Rache und Vergeltung in Beziehungen? Ich freue mich über eure Kommentare hier.