Phubbing – Was soll das sein?
Selbst, wenn du bis jetzt noch nie etwas von Phubbing gehört hast, kannst du sicher sein, dass du es selbst tust. Jedenfalls dann, wenn du ein eigenes Handy hast. Und wenn du keins hast, dann hat es garantiert schon mal jemand mit dir gemacht.
Ich erinnere mich sogar noch genau, an das erste Mal, als es mir passierte. Angespannt und nervös saß ich vor meinem damaligen Chef und erläuterte gerade, warum das nächste Projekt mit einem anderen Team durchgeführt werden sollte. Unvermittelt nahm er sein Handy und tippte irgendwas hinein.
Irritiert hörte ich auf zu sprechen. Oh je, dachte ich, der hat wirklich Stress, wenn er mitten im Gespräch seine Mails checken muss oder was macht er da?! Höflich wartete ich ab, bis er seine Aufmerksamkeit wieder auf unser Gespräch lenken würde.
„Sprich weiter. Ich höre dir zu. Will nur kurz checken, wer Zeit haben könnte, bei dem Projekt dabei zu sein.“
Für mich war das damals ein so seltsames Verhalten, dass es mir in Erinnerung geblieben ist. Mittlerweile habe ich mich natürlich daran gewöhnt, so wie wir alle. Es ist vollkommen normal, das Handy in Gegenwart anderer Menschen zu nutzen. Die gleiche Situation wäre heute keinen Gedanken mehr wert.
Es ist sogar so normal, dass die Amerikaner dafür dieses neue Wort erfunden haben: Phubbing. Das ist eine Kreation aus Phone und Snubbing, also Handy und Vor-den-Kopf-Stoßen. Und genauso fühlt es sich an.
Phubbing – Ich hasse das Handy meines Partners
Ich kenne wirklich niemanden, der sich nicht schon mal durch Phubbing zurück gewiesen gefühlt hat. Es passiert ja auch mittlerweile überall. Aber in einem ganz besonderem Maße stört dieses Verhalten unsere intimen Beziehungen. Auffällig häufig habe ich dieses Thema in letzter Zeit in meinen Beratungen.
„Ich hasse sein Handy und manchmal habe ich wirklich Lust, es aus dem Fenster zu schleudern!“ sagt Karin* und starrt mich dabei wütend an.
„Können Sie das nachvollziehen?“ frage ich ihren Mann Garry*.
„Ein bisschen schon, aber ich finde, es kommt auch darauf an, was ich mit dem Handy mache. Schließlich will ich oft etwas heraus finden, über das wir gerade sprechen. Allerdings gebe ich zu, dass es sich manchmal wie ein Zwang anfühlt. So als müsste ich unbedingt nach dem Handy greifen, völlig unabhängig davon, worüber wir gerade sprechen.“
Ja, es scheint wirklich ein Zwang zu sein, zum Handy zu greifen. Aber besonders dramatisch ist der Effekt von Phubbing auf das Gegenüber. Er oder sie fühlt sich weniger interessant und ist in der Folge auch weniger interessiert am anderen. Die Gespräche geraten aus dem Fluß, die Reaktionen sind verzögert, die Antworten mechanisch und die Mimik reduziert.
Phubbing – Das Überleben sichern!
Eine aktuelle Studie des Psychologieprofessors David Sbarra der University of Arizona erklärt, warum das Handy so machtvoll ist und wirklich süchtig machen kann. Es triggert ganz alte Areale unseres Gehirns. Schon in früheren Zeiten sicherte die Verbundenheit mit der Gemeinschaft unsere Existenz. Nur als Gruppe war es möglich, Angriffe von außen und Naturkatastrophen zu überstehen.
Die Entwicklung dieser Art von Zugehörigkeit erfordert allerdings Selbstoffenbarung, Anteilnahme und einen Austausch von Emotionen und Informationen. Genau darum geht es in den sozialen Netzwerken. Facebook, Instagram und Co. befriedigen also ein zutiefst existentielles Bedürfnis. Und während wir posten, liken und teilen wird unserem Gehirn signalisiert, dass wir gerade unser Überleben sichern. Das gleiche gilt für Emails, Computerspiele und Lesen von Nachrichten.
Natürlich macht das süchtig und es fällt schwer, sich davon zu lösen.
Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine Art Fast-Food-Befriedigung handelt, die ähnlich wie der Burger aus der Fast-Food-Kette kurzfristig „satt“ macht, aber langfristig schadet? Darüber wird es in Zukunft sicher noch weitere Forschungen geben. Bis dahin bleibt uns der achtsame Blick auf den eigenen Umgang mit dem Handy und was es mit uns macht.
Karin hat jedenfalls das Gefühl, Garry an die virtuelle Welt zu verlieren.
„Ich könnte genauso gut alleine leben,“ sagt sie, „wir reden viel zu wenig miteinander und selbst beim Essen liest er lieber die Nachrichten, als sich mit mir zu unterhalten. Ich bin einsam in der Beziehung, obwohl Garry viel zu Hause ist.“
„Aber du guckst doch genauso oft ins Handy,“ sagt er.
Beide schauen mich hilfesuchend an.
Phubbing – Einsamkeit in der Beziehung
Als Hausaufgabe sollen Sie sich erstmal selbst genau beobachten und die Zeit ermitteln, die sie wirklich am Handy verbringen. Zum Glück gibt es Apps, die diese Arbeit übernehmen können.
In der nächsten Sitzung haben wir dann konkrete Zahlen, die im Gegensatz zu Vorwürfen immer für Klarheit sorgen. Dabei stellt sich heraus, dass beide lediglich um ein paar Minuten abweichend das Handy täglich nutzen. Karin hat also gar keinen Grund, sich über Garry’s Verhalten zu beschweren. Sie ist selbst kaum besser.
Beide liegen etwas über dem statischen Durchschnitt von 140 Minuten täglich. 30 bis 50 Mal pro Tag fällt der Blick auf den mobilen Begleiter. Die Lust, auf das Handy zu gucken ergreift alle und jeden. Erst heute morgen auf dem Weg zum Bäcker sah ich einen Bauarbeiter auf dem Gerüst über die Bretter balancieren, während er zutiefst versunken in sein Handy starrte. Das sah lebensgefährlich aus.
Karin und Garry sind also eindeutig nicht allein mit ihrem Verhalten. Warum das Thema jedoch immer häufiger in meinen Beratungen eine Rolle spielt, geht aus einer weiteren Studie hervor. Der Psychologe Matthew A. Lapierre von der University of Arizona fand heraus, dass Phubbing vor allem unsere Liebesbeziehungen negativ beeinflusst. Geschäftsbeziehungen und Freundschaften halten das besser aus. Paare, die über sich selbst sagen, dass sie das Handy häufiger nutzen als ihnen lieb ist, fühlen sich in ihren intimen Beziehungen einsamer und sind grundsätzlich unzufriedener mit dem anderen als diejenigen, die den eigenen Handykonsum als kontrolliert und unproblematisch erleben.
„Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich auch oft einsam,“ sagt Garry in der zweiten Sitzung.
Phubbing – Unterbrechung statt Bindung
Zu einer erfüllenden Beziehung gehört das Gefühl miteinander verbunden zu sein. Bindung entsteht durch körperliche Berührung und Blickkontakt, beides wird durch Phubbing erschwert oder ständig unterbrochen. Immer seltener kommt es zu einem langen und intensiven Austausch. Und sogar, wenn das Handy lediglich sichtbar irgendwo liegt, beeinträchtigt es die Konzentration und die Aufmerksamkeit für die anderen Menschen im Raum. Auch das konnten Studien nachweisen.
Es kommt zu weniger Kontakt und somit auch zu einer geringeren Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin, dieser Mangel verstärkt das Gefühl der Einsamkeit. Das erklärt auch, warum die ständige Unterbrechung besonders in intimen Beziehungen problematisch ist. Unsere anderen Beziehungen sind selten durch intimen Körperkontakt gekennzeichnet.
„Was machen wir jetzt mit der Erkenntnis, dass wir beide zu viel am Handy hängen und eigentlich einsam in unserer Beziehung sind?“ fragt Karin.
Phubbing – Ursachen und Wirkung
Natürlich könnte ich den beiden jetzt praktische Tipps geben, doch für Karin und Garry geht es jetzt vielmehr darum, heraus zu finden, was sie zum Phubbing bewegt. Fast immer lasse ich Paare in meiner Beratung ihre Beziehung mit Figuren visualisieren. Das bedeutet, sie wählen Figuren als Stellvertreter für sich selbst aus und setzen sie zueinander in Beziehung. Diesmal sollen sie nicht nur für sich eine Figur wählen, sondern auch für ihr Handy.
„Seit das Handy neben mir steht, fühle ich mich irgendwie sicherer“, sagt Garry.
„Mich nerven beide Handys total“, sagt Karin, „ich bin gerade richtig wütend.“
Hätte ich ihnen nur konkrete Tipps und Regeln für den Handykonsum gegeben, hätte Karin wahrscheinlich auf der Einhaltung der handyfreien Zeiten und Zonen bestanden, während Garry sich mit einem noch schlechteren Gewissen immer wieder hinter dem Handy in Sicherheit bringen würde. Damit wäre nichts gewonnen, aber alles noch schlimmer geworden.
Viel wichtiger ist es, heraus zu finden, warum sie so wütend ist und wovor er eigentlich Angst hat.
Phubbing – Körperkontakt hilft!
Im weiteren Verlauf der Beratung stellt sich heraus, dass es bei Karin und Garry über viele Jahre zum totalen sexuellen Frust gekommen ist. Sie ist wütend auf ihn, weil er sich ihr nur nähert, wenn er Sex will. Er weiß einfach nicht mehr, wie er sich ihr überhaupt nähern soll und zieht sich immer mehr zurück. Hinter seinem Handy fühlt er sich vor ihren ständigen Vorwürfen in Sicherheit.
Immerhin sind sich beide einig, dass sie die Beziehung weiter führen wollen. Nach und nach räumen wir die Verletzungen zur Seite, die sich zwischen ihnen angesammelt haben. Dabei spielt vor allem eine Jahre zurückliegende Fehlgeburt und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper eine Rolle. Und dann wagen sie ein Experiment. Sie verpflichten sich zu einem Monat täglichen Körperkontakt, wobei es nicht darum geht Sex zu haben und das Handy natürlich in einem anderen Zimmer bleibt.
Körperkontakt erzeugt Bindung und so ist es auch im Fall von Karin und Garry. Sie nähern sich an, nutzen die Zeit auch, sich über die Verletzungen und Zurückweisungen der letzten Jahre auszutauschen. Sogar Phubbing wird dabei zum Thema, das sie aber gemeinsam angehen. Jetzt helfen feste Regeln und handyfreie Zeiten.
Wenn du diesen Artikel gerade an deinem Handy liest, während dein Partner oder deine Partnerin im Raum ist, schau doch einfach mal hoch und nimm Kontakt auf.
(*alle Namen sind geändert und selbstverständlich habe ich die Erlaubnis des Paares, über die Beratung zu schreiben)
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