Heute geht das Jahr 2017 zu Ende. Es stand für mich ganz besonders unter dem Zeichen der Sexualität. Kein Wunder, schließlich habe ich im November gemeinsam mit Elinor Petzold einen ganzen Onlinekongress zu diesem Thema veranstaltet. Und er war ein voller Erfolg. Nicht nur, dass wir viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten, nicht nur, dass der Verkauf sich gelohnt hat, nein, er war vor allem deshalb ein Erfolg, weil wir so viele wunderbare Einblicke in die Arbeit von großartigen Expertinnen und Experten gewinnen durften.
Bei ihnen möchte ich mich unbedingt noch einmal von ganzem Herzen bedanken bevor das Jahr 2017 zu Ende geht.
DANKE ihr seid großartig!
#MeToo
Und ich möchte zum Schluss des Jahres einen Rückblick wagen, denn ein Thema hat mich ganz besonders bewegt. In vielen Kongressinterviews, die ich ab Oktober geführt habe, habe ich nach der MeToo Debatte gefragt.
Inspiriert durch die Antworten und durch viele andere Artikel in unterschiedlichen Medien wage ich eine persönliche erste Annäherung an das Thema.
„MeToo – ja klar – hätte ich bald gesagt“ waren die Worte, mit denen Paula Lambert auf ihrem Facebook Account darüber geschrieben hat. Sie sagt damit nichts anderes als, dass jede Frau weiß worum es geht, wenn über Sexismus gesprochen wird. Er ist schlicht und ergreifend Normalität, auch im Alltag von unabhängigen und beruflich erfolgreichen Frauen, wie Paula Lambert.
Andererseits ist der Feminismus in Deutschland nicht mehr besonders beliebt, vor allem junge Frauen halten ihn zum Teil für überflüssig. Dazu kommt noch, dass die ganze Genderdebatte vor allem die Menschen nervt, die viel mit der Sprache zu tun haben. Gerade die deutsche Sprache wird hierbei besonders strapaziert.
MeToo in Deutschland
In den meisten anderen Ländern reißt die Debatte immer noch nicht ab. In den USA gibt es sehr unangenehme Konsequenzen für die Menschen, die ihre Macht sexuell ausgenutzt haben. In Deutschland ist es zu diesem Thema allerdings peinlich ruhig. Laut einem Artikel auf der Onlineplattform „Bento“ gibt es in Deutschland kaum Schauspielerinnen, die sich dazu äußern wollen. Die #Aufschrei Debatte wurde in einigen Talkshows noch einmal aufgewärmt. Das Magazin „Stern“ erzielte sein schlechtestes Verkaufsergebnis, als es mit dem Thema Sexismus titelte. Deutsche Politiker verstehen gar nicht, worum hier so ein Aufhebens gemacht wird, wie in diesem WDR-Beitrag deutlich wird.
Immerhin sind sich alle darüber einig, dass Vergewaltigungen erbärmlich sind und Vergewaltiger bestraft werden müssen. Das ist logisch und daran wird wohl auch kein moderner Mensch zweifeln.
Aber dieser unklare Sexismus, den wir nicht greifen können, weil wir damit aufgewachsen sind, ist ein Problem. Er ist unsichtbar in uns verborgen und wird erst langsam bewusstseinsfähig. Dazu kann so eine Debatte wie MeToo einen Beitrag leisten und sie kann ein Anstoß sein, genauer hinzuschauen.
Ungerechtigkeit und MeToo
In dem Interview mit Paula Lambert wurde noch einmal deutlich, dass es um eine Ungerechtigkeit in der Gesellschaft geht, die nicht irgendwo in den USA zwischen Hollywoodstars und ihren Produzenten stattfindet, sondern, dass sie sich überall auf der Welt zeigt. Auch in Deutschland und auch in unseren Partnerschaften und zwar schon seit Jahrhunderten.
Frauen auf der ganzen Welt fühlen sich von Männern auf ihre Sexualität reduziert. Und nicht nur das, sie fühlen sich immer mal wieder von ihnen bedroht oder lächerlich gemacht. Sie fühlen sich ängstlich in der Gegenwart von Männergruppen oder mächtigen Männern. Sie werden angestarrt, angegrapscht, vergewaltigt, benutzt.
Sie werden in Vorstellungs-gesprächen nach der Anzahl ihrer Kinder gefragt, sie werden dafür gelobt, dass sie große Brüste haben oder überhaupt dafür, dass sie gut aussehen. Die Zeiten, in denen sie Kinder gebären und sich um diese kümmern, wirken sich finanziell zu ihrem Nachteil aus. Sie sind in den Vorständen der DAX Konzerne nur zu einem geringen Prozentsatz vertreten, in den weitaus schlechter bezahlten Dienstleistungsberufen in Krankenhäusern, Altenheimen und Kindergärten dafür überdurchschnittlich häufig. Sie sind von Altersarmut bedroht, werden schlechter bezahlt und müssen höhere Preise zahlen
Das alles ist ungerecht und bescheuert, darüber hinaus ist es von uns Menschen selbst über Jahrhunderte so entwickelt worden. Wir leben in einer Welt, in der die Weiblichkeit einen geringen Wert hat. Und zwar gilt das sowohl für einen eher empfindsamen, weiblichen Mann als auch für eine weibliche Frau. Die Weiblichkeit wird als Dienerin des Männlichen verstanden und dazu benutzt – von uns allen. Wir leben in einer verkehrten Welt und das spüren wir jeden Tag.
Deshalb ist die MeToo Debatte so wichtig und sie sollte auch so schnell nicht aufhören, denn es gibt noch viel zu verstehen zu diesem Thema.
MeToo – Hetzjagd gegen die Männer?
Nach Jahren des Schweigens gibt es plötzlich Konsequenzen für die Menschen, die andere Menschen gegen ihren Willen sexuell belästigt haben, zumindest in den USA. Und obwohl die Konsequenzen bisher alle Männer treffen, ist das hier keine Hetzjagd gegen Männer wie zum Teil behauptet wird. Das ist totaler Quatsch!
Es ist einfach an der Zeit, dass es nicht mehr nur die belästigten und missbrauchten Menschen sind, die jahrelang unter so einem Übergriff leiden. Diejenigen, die andere mit ihrer Sexualität gegen deren Willen belästigen, müssen erleben, dass sie dafür von der Gesellschaft verachtet und bestraft werden. Sie müssen erleben, dass ihnen die Macht, die sie missbraucht haben, entzogen wird. Das ist wunderbar und es wird Zeit.
Die Art und Weise, wie das in Amerika geschieht, ist allerdings grenzwertig und nicht weit von Lynchjustiz entfernt. Der Präsident der USA sollte sich in Acht nehmen. Am Ende des Gesprächs mit Paula Lambert waren wir uns jedenfalls einig, dass „Paula for President“ eine Option ist.
MeToo – Einverständnis in Schweden
In Schweden wurde durch die Debatte das Einverständnisgesetz erlassen, das es eventuell auch nicht besser macht. Aber immerhin lenkt dieses Gesetz die Aufmerksamkeit weg von Hollywood und hin zum eigenen ganz alltäglichen sexuellen Verhalten. Schweden gilt jetzt als das unromantischste Volk der Welt, aber in Schweden selbst gibt es wenig Protest dagegen. Denn es geht eigentlich um etwas Selbstverständliches, es geht darum, nur Sex mit jemandem zu haben, der oder die das wirklich will. Wer sollte sich etwas anderes wünschen?
Die Sexualität hat es in sich, sie ist und bleibt die Schnittstelle, an der sich zwei oder mehr Menschen ganz besonders intensiv begegnen können. Leider fällt uns das oft schwer und es kommt viel häufiger zu sehr unbewussten, egoistischen Begegnungen, die als Grundlage für Grausamkeiten und Machtmissbrauch dienen können.
In der Paartherapie erlebe ich oft, dass gerade die gemeinsame Sexualität erbitterte Kämpfe verursachen. Statt die Beziehung zu vertiefen und zu festigen, halten wir den anderen hin, täuschen etwas vor oder verfallen in Duldungsstarre, alles um echte Begegnung zu vermeiden. Das geschieht nicht aus Bösartigkeit, sondern meist aus Angst vor den Konsequenzen und aus Angst vor Beziehung.
MeToo und Bewusstheit
Ich glaube, dass wir einfach zu unbewusst sind. Wir sind uns nicht bewusst, wie sehr wir unsere Sexualität missbrauchen. Das gilt für Frauen genauso wie für Männer.
Das Potential an Frieden, das in der Sexualität steckt, ist in unserer Gesellschaft noch gar nicht angekommen. Wir gehen stattdessen missbräuchlich und gewalttätig mit ihr um. Aber erst, wenn uns bewusst wird, dass wir gerade Gewalt ausüben, können wir damit aufhören. Das geht am besten, wenn wir einander wirklich zuhören und uns nicht mehr gegenseitig verdächtigen.
Männer sind Menschen
Eilert Bartels ist so ein Mann, der zuhört und der sich vor allem dafür einsetzt, dass die Hetzjagd gegen die Männer aus den Anfängen des Feminismus nicht wieder losgeht. Er fürchtet die schon vertrauten Vorwürfe gegen das Patriarchat und die Gleichsetzung des Patriarchats mit dem Mann. Denn dann kommt jeder Mann eigentlich schon als Täter auf die Welt und jeder Versuch, zusammen etwas zu bewegen, ist zum Scheitern verurteilt, denn wir wissen ja schon wer sich ändern muss.
Sein aktuelles Projekt HuMANNoid setzt dieser pauschalen Verurteilung etwas Wundervolles entgegen, nämlich die Möglichkeit den anderen wirklich zu sehen.
Wir Frauen und Männer sollten uns gegenseitig endlich eingestehen, dass wir bis jetzt noch sehr wenig über den „heiligen“ Sex und die Kraft der echten sexuellen Begegnung wissen. Der heilige Sex ist übrigens völlig unabhängig davon, ob sich nun Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann begegnen. Wenn er gelingt schenkt er uns ein neues Wissen über uns selbst. Dieses Wissen macht Lust und verhindert Missbrauch. Sexuell wirklich befriedigte Menschen neigen einfach nicht zu Gewalt und Unterdrückung. Für manche mag das jetzt zu einfach klingen, aber ich bin mir sicher, dass es das ganz uns gar nicht ist.
Genau aus diesem Grund wird es im Jahr 2018 auch wieder Projekte von mir geben, die sich mit dem Thema Sexualität auseinander setzen. Ich freue mich über Expertenvorschläge von euch.