Die eigenen Kinder aufklären

Daniel ist entsetzt. Das Gesicht wutentbrannt erzählt er von seiner Ex-Frau. Sie hat den gemeinsamen Sohn gestern bei ihm zu Hause abgesetzt und ihm gesagt, er müsse ihn aufklären. Vincent ist 12 Jahre alt und hat blöderweise einen selbstgedrehten Sexfilm von seiner Mutter mit ihrem neuen Freund gesehen. Fast wäre auch noch sein Kumpel Marcel dabei gewesen.
Der Sohn ist entsetzt und will nicht mehr bei der Mutter bleiben. Sie hat versucht mit ihm zu reden, aber er bleibt stur und schweigt.

Jetzt sitzt Daniel mit seiner neuen Freundin, Petra, in meiner Beratung und möchte wissen, was er machen soll.

Er ist stinkwütend aber vor allem überfordert mit der ganzen Situation.

Wütend auf die Ex-Frau, weil sie so blöd war, den Film auf den Computer zu laden. Dabei weiß sie ganz genau, dass Vincent den Rechner für Hausaufgaben nutzt. Wütend auf den Sohn, weil er total verschlossen ist und auf keinen Fall zurück zur Mutter will und wütend auf sich, weil er wirklich nicht weiß, was er tun kann. Und wie man heutzutage überhaupt Kinder aufklären soll?! Die wissen doch schon alles. Sagt er und schaut mich fragend an.

Kinder aufklären als Patchwork Eltern

Seine Freundin, Petra sitzt neben ihm und hält seine Hand. Sie hat ihm angeboten, mit Vincent zu sprechen. Das Verhältnis der beiden ist ganz okay, sie ist selbst Sozialpädagogin und sowohl Daniel als auch Petra  halten das für eine gute Idee. Schließlich weiß sie, wie Kinder aufklären theoretisch geht.

Andererseits möchte Daniel gerne selbst für seinen Sohn da sein, aber er ist so dermaßen wütend auf seine Ex-Frau, dass er sich kaum traut, überhaupt mit Vincent zu sprechen. Er befürchtet, sofort extrem ausfallend über sie zu sprechen. Sie ist schließlich Vincent’s Mutter und es gehört zum Glück mittlerweile zum Allgemeinwissen, dass es keine gute Idee ist, schlecht über die Ex-Beziehung zu sprechen, wenn das gemeinsame Kind dabei ist.

Kinder aufklären

Wir gehen alle davon aus, dass unsere Kinder sowieso Pornos im Netz gucken und schon irgendwie mit den Freunden und Freundinnen gemeinsam für Aufklärung sorgen. Oder wir erwarten, dass es in der Schule Aufklärungsunterricht gibt. Alles das passiert ja auch, und dennoch brauchen sie uns Eltern.
Ganz besonders in so einem Fall wie bei Vincent. Das Schlimmste sind die Bilder im Kopf, die sie nicht mehr loswerden. Und dann auch noch die eigene Mutter, das ist keine leichte Situation. Sie können auch nicht darüber reden, weil sie keine Worte dafür haben.

Was können wir tun?

Zunächst mal ist es wichtig zu klären, welche Reaktion in uns selbst aufkommt, wenn wir davon erfahren, welche Bilder das Kind gesehen hat.

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Schämen wir uns, überhaupt darüber zu sprechen?
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Was können wir frei und offen mit den Kindern besprechen?
  • Womit haben wir selbst ein Problem?
  • Wie unangenehm ist uns die Idee, dass die eigenen Kinder sexuelle Fantasien oder Erfahrungen haben?
  • Wie war unsere eigene „Zeit der Aufklärung“?
  • Was hat uns selbst damals geholfen, was hat eher geschadet?

Wenn wir selbst mit schwitzigen Händen und voller wirrer Gedanken im Kopf dem Kind unbedingt das Richtige sagen wollen, wird es sehr wahrscheinlich nach hinten losgehen.

Aber auch, wenn wir das Gespräch einfach hinter uns bringen wollen, damit wir zumindest irgendwas getan haben, wird es vielleicht nicht ausreichen.

Wenn wir zu viel darüber reden und dem Kind etwas überstülpen wollen, wird es damit aber auch überfordert sein.

Und dennoch möchte ich zur Entspannung aufrufen. Das wichtigste für ein Gespräch mit dem Kind ist immer die eigene Haltung. Wenn wir es schaffen, offen zu sein für das, was da kommt? Wenn das Kind auch etwas verschweigen darf und wenn wir dem Kind erstmal nur ein Signal senden, das deutlich zeigt, ich bin da. Wir können reden, wann immer DU willst. Dann kann das Gespräch gelingen.

Ich zitiere immer wieder gern den Titel des Buches von Irina Prekop „Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen“. Diese Frage nach dem Weg wird besonders dringend, wenn die Kinder in der Pubertät sind. Jetzt kommt es darauf an, ob wir irgendeinen Blödsinn erzählen, den wir selbst nicht glauben und sie damit in die Irre schicken. Oder, ob wir selbst den Weg kennen und ihnen ein guter Wegweiser sein können. Ein guter Wegweiser schickt uns nicht in die falsche Richtung.

Wenn wir den Weg also selbst nicht kennen, zeigen wir nicht irgendwohin sondern wir signalisieren dem Kind, dass wir auch nicht wissen, was jetzt gut ist. Aber, dass wir bereit sind, es gemeinsam mit ihm heraus zu finden?
Und dann geht es darum, zuzuhören und das Kind selbst sprechen zu lassen, nicht zu viel zu erwarten und es nicht mit der eigenen Sorge und dem Wunsch alles richtig zu machen zu überfordern.

Zurück zu Daniel und Petra

Für Daniel wurde es ganz wichtig, dass er seine Wut auf die Ex-Frau ausdrücken konnte. Denn hinter der Wut kam eine alte Verletzung wieder hervor, die immer noch da war. Seine Ex-Frau hatte ihn damals mit dem besten Freund betrogen und er hatte sie erwischt.

Dieses Bild war fest eingebrannt in seinem Kopf und nun war er sicher, dass sein Sohn gerade genau dasselbe erlebt hatte. Er fühlte sich nicht in der Lage, entspannt mit Vincent zu sprechen. Deshalb hatte er Petra gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie fühlte sich geehrt und wollte das gerne tun, war sich aber auch sicher, dass es besser wäre, er würde es selbst schaffen.

Eine Lösung

Daniel klärte für sich die innere Verletzung, die durch das Bild von seiner Ex-Frau mit dem besten Freund entstanden war. Allein dadurch, dass er es aussprechen und den Zusammenhang sehen konnte, verlor es schon an Kraft. Aber erst als er es endlich loslassen konnte und sogar ein bisschen Verständnis für die damalige Situation seiner Ex-Frau aufbringen konnte, wurde ihm klar, dass das alles nichts mit seinem Sohn zu tun hatte.

Frei von diesem Bild sprach er zunächst mit seiner Ex-Frau, die am Boden zerstört war und voller Scham gegenüber Vincent. Sie bat Daniel inständig mit Vincent zu sprechen. Diesmal konnte Daniel ruhig bleiben und er konnte tatsächlich im Anschluss mit Vincent reden. Vater und Sohn kochten am Abend zusammen und während dieser gemeinsamen Aktion brach es plötzlich alles aus Vincent heraus. Daniel konnte offen und frei für ihn da sein.

Vincent war bereit, auch mit seiner Mutter zu sprechen, denn Daniel konnte ihm erklären, wie schön Sexualität ist. Ich ziehe meinen Hut vor Daniel, wie so oft vor meinen Klienten.

Sollten Sie auch an einer Stelle in der Kommunikation mit Ihren Kinder nicht weiter wissen, bin ich gern für Sie da. 

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